Geschichte des Instituts
Vom Werden und Wirken der Wissenschaft von der englischen Sprache und Literatur
Dietmar Schneider und Dorothea Sommer
Am 13. März 1876 wurde der außerordentliche Professor der englischen Sprache und Literatur Karl Elze (1821-1889) im neugegründeten Seminar für englische Philologie zum Ordinarius ernannt und damit die Anglistik als eigenständige Wissenschaftsdisziplin in Halle offiziell begründet. 125 Jahre Anglistik sind Anlaß, Rückschau zu halten, Traditionslinien aufzuzeigen und Wege in die Zukunft zu weisen.
Die Geschichte des Instituts
- Vom Werden und Wirken der Wissenschaft von der englischen Sprache und Literatur
- Der erste außerordentliche Professor
- Jahrhundertelang ein Fach ohne Lehrstuhl
- Anglistik in Halle – die Gründerzeit
- Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts
- Hallesche Anglistik nach dem II. Weltkrieg
- Die Dritte Hochschulreform und ihre Folgen
- Der Neubeginn für die Anglistik in Halle
- Die Autoren des Artikels
Der erste außerordentliche Professor
Der erste außerordentliche Professor auf dem Gebiet der Anglistik wurde jedoch bereits am 25. Oktober 1796 berufen. Es war ein Mann der Industrie, der Königlich Preußische Ober-Salpeter-Hütten-Inspektor Johann Ebers (1742-1818) bzw. Ebersus, wie er in den lateinisch verfaßten Vorlesungsverzeichnissen der Universität heißt. Wahrscheinlich ist dieses Extraordinariat nach dem eines Engländers in Göttingen aus dem Jahre 1751 das zweitälteste in Deutschland überhaupt (vgl. Dietrich, Gerhard: Zur Geschichte der englischen Philologie an der Martin-Luther-Universität. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität, Ges.-Sprachwiss. Reihe, 5 [1956] 6, S. 1041-1056).
Jahrhundertelang ein Fach ohne Lehrstuhl
Die Geschichte der Lehre der englischen Sprache und Literatur an den Universitäten in Wittenberg und Halle begann schon sehr lange vor der Gründung des englischen Seminars und der Berufung von Karl Elze auf den Lehrstuhl, auch lange vor der Tätigkeit von Johann Ebers zur Zeit der Vereinigung der beiden Universitäten nach den Napoleonischen Kriegen. Es ist die Geschichte des Aufstiegs von der Sprachmeisterei über die Lektorate in den einzelnen Philologien zur selbständigen Wissenschaftsdisziplin, der insgesamt mehrere Jahrhunderte währte.
Der Ruf der Universität Wittenberg im Königreich England muß schon kurz nach ihrer Gründung 1502 ein sehr guter gewesen sein, dank den Professoren Luther und Melanchthon, die mit ihren Lehren Wittenberg zu einem Zentrum der Reformation in Europa gemacht hatten. Als Shakespeare 1564 geboren wurde, begann in Wittenberg gerade der Bau des Augustäums. Ein neues Universitätsgebäude in prachtvollem Renaissancestil entstand, bedeutsam bis zum heutigen Tag.
Wittenberg war zwar nicht mehr Residenzstadt der sächsischen Landesherren, aber in ganz Europa als Bildungszentrum bekannt, so daß Shakespeare seinen Helden Hamlet zum Studenten in Wittenberg machte. Im 1. Akt, 2. Szene (Shakespeare, William, Complete Works. ed. by Wells, Stanley, Taylor, Gary. Oxford: Clarendon Press, 1989 S. 657 ff.), bittet der König Hamlet, nicht nach Wittenberg zurückzukehren:
,,For your intent in going back to school in Wittenberg, it is most retrograde to our desire." Die Königin, Hamlets Mutter, schließt sich an: ,,I pray thee, stay with us, go not to Wittenberg." Anschließend fragt Hamlet seinen Mitstudenten Horatio und seine Freunde Bernardo und Marcellus zweimal: ,,And what make you from Wittenberg, Horatio? Marcellus?... But what, in faith, make you from Wittenberg?" Horatio antwortet: ,,A truant disposition, good my lord." Aber alles andere als Studienbummelei hat Hamlet im Sinn.
Der Sprachunterricht in diesen frühen Jahrhunderten hatte eine geringe Bedeutung. Die Sprachmeister rangierten noch im 18. Jahrhundert erst an vierter Stelle nach den Stallmeistern und Reitlehrern, sowie den Exercitienmeistern, d.h. den Fecht- und Tanzlehrern. Sprachlehrer werden namentlich in den Universitätsverzeichnissen nicht erwähnt und hatten auch bei den adligen Studenten an den Ritterakademien ein eher bescheidenes Auskommen. Englisch kam außerdem als praktische Fremdsprache erst hinter den galanten Sprachen Französisch und Italienisch.
Der eigentliche Aufstieg des Faches begann in Halle kurz vor der Vereinigung der Universitäten, also Anfang des 19. Jahrhunderts, durch die Einstellung von qualifizierten Lektoren (lectores publici) namentlich Johann Heinrich Hermann Beck ab 1808 (bis 1824) und Ernst Wilhelm Gottlieb Wachsmuth ab 1815 (bis 1820). Wachsmuth wurde schon 1816, ein Jahr nach seiner Habilitation, zum a.o. Professor für alte und neue Sprachen ernannt und ging bald danach von Halle weg. Beiden Lektoren ist gemeinsam, daß sie sowohl Sprachwissenschaft als auch Literaturwissenschaft betrieben, ohne daß ihre Arbeit als Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung an der Universität die rechte Anerkennung fand. Beck befaßte sich neben der Grammatik und Syntax mit Oliver Goldsmith und interpretierte dessen Werke, Wachsmuth widmete sich vor allem Shakespeares Werken Heinrich IV, Hamlet und Macbeth.
Nach dem Weggang Wachsmuths und dem Tode Becks gab es eine lange Unterbrechung. Aber mit Fug und Recht kann man behaupten, daß diese Lektoren mit ihrer guten Arbeit die eigentlichen Vorläufer und Wegbereiter für die Anglistik als Wissenschaftsdisziplin waren.
Anglistik in Halle – die Gründerzeit
Wie sah die Universität Halle vor 120 Jahren im Gründungsjahr des Lehrstuhls aus? Das ,,Amtliche Verzeichnis des Personals und der Studierenden auf der königlichen Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg" von Michaelis 1875 bis Ostern 1876 gibt Auskunft. Zur Zeit als die Statuten des Seminars für englische Philologie ausgefertigt wurden, gab es ganze 870 Studenten in Halle, 411 davon an der Philosophischen Fakultät, 334 Preußen und 107 Nichtpreußen. 143 studierten Philosophie/Philologie und Geschichte. Unter diesen Studenten waren die damaligen Romanisten und Anglisten. Es war insgesamt eine günstige Zeit für die Entwicklung und Entfaltung dieser Philologien. Das Rektorat hatte der klassische Philologe Prof. Dr. Keil inne, der zusammen mit dem Dekan Prof. Dr. Heintz die Neugründungen der Seminare vornahm.
Im Sommersemester stieg die Zahl der Studierenden in der Philosophie/Philologie und Geschichte geringfügig auf 151. Die große Mehrheit dieser 151, genau 93, waren aus der näheren Umgebung von Halle und als Provinzsachsen ausgewiesen. Aber auch ein Brite und vier Amerikaner waren eingeschrieben. Das Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1875/76 weist bei Prof. Elze eine vierstündige Vorlesung zur Geschichte der englischen Literatur seit der Restauration aus, jeweils von 9-10 montags, dienstags, donnerstags und freitags privatim. Mittwochs und sonnabends 9-10 beschäftigte er sich öffentlich mit Shakespeares Kaufmann von Venedig. Außerdem gab es bei ihm privatissime und gratis eine Vorlesung zur Englischen Gesellschaft. Im Sommersemester widmete sich Professor Elze auch der Sprachwissenschaft und las öffentlich zweistündig Englische Syntax.
Diese Gründungsphase der Halleschen Universitätsanglistik war später gekennzeichnet durch das Wirken der Professoren Albrecht Wagner (1850-1909), Max Förster (1869-1954) und Max Deutschbein (1876-1949). Wagner war eigentlich Germanist, wandte sich aber später englischen Studien zu. Sein Hauptforschungs- und Lehrgebiet war das Drama der Shakespearezeit. Nur kurz 1909-1910 war dann der später sehr erfolgreiche und einflußreiche Anglist Max Förster auf dem Lehrstuhl in Halle. Wie seine Vorgänger behandelte er die historisch-vergleichende Grammatik des Englischen und die Hauptepochen der englischen Literaturgeschichte bis in die Gegenwart der Jahrhundertwende. Auch führte er Übungen zur neuenglischen Aussprache auf laut-physiologischer Grundlage durch. Försters Anthologien British Classical Authors (1905) und English Authors (1910) waren für Jahrzehnte in hoher Auflagenzahl Lehr- und Studienbücher ganzer Generationen von Englisch-Schülern.
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts
1910 wurde Max Deutschbein von Leipzig nach Halle berufen. Er war bereits als Kenner alt- und mittelenglischer Sagen hervorgetreten und befaßte sich in Halle mit Beowulf, dem mittelenglischen Orrmulum und der elisabethanischen Zeit. Die wichtigste Neuerung gab es jedoch auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft, ,,die Anwendung der sprachpsychologischen Methode auf die neuenglische Syntax, durch die er die historischen und deskriptiven Methoden ergänzt, nicht aber ersetzt wissen wollte." (Dietrich 1956, 1053). Sein Buch ,,System der neuenglischen Syntax" wurde erstmals in Köthen 1917 gedruckt und erreichte binnen kurzer Zeit vier Auflagen.
Eine Periode großer Stabilität und Kontinuität begann für die Anglistik mit der Berufung von Hans Weyhe (1879-1955) zum Ordinarius im Jahre 1920 und von Otto Ritter (1876-1962) zum Extraordinarius im Jahre 1921. 35 Jahre wirkte Weyhe in Halle auf den Gebieten der Sprach- und Literaturwissenschaft und Landeskunde Großbritanniens und Amerikas, Ritter sogar noch etwas länger. Weyhe war Lehrer vieler anglistischer Professoren, die jetzt noch an den Universitäten in Münster, Mainz, Berlin, Potsdam, Kassel, Greifswald und Halle wirken.
Prof. Dr. Hans Weyhe (1879-1955), dessen Bibliothek noch heute als Bibliotheca Weyheana dem Institut für Anglistik angehört
Er war ein stiller Gelehrter, der keine großen Monographien hinterlassen hat, dessen Stärke im unmittelbaren Kontakt mit den Studierenden bestand. Seine natürliche Hilfsbereitschaft, seine charakterliche Festigkeit in schweren Zeiten und sein gründliches und vielseitiges Fachwissen ließen ihn zu einem allseits anerkannten und geschätzten und bei seinem Tode 1955 schmerzlich vermißten Vorbild werden. Seine Bibliothek vermachte er dem Seminar. Sie ist noch jetzt als gesonderte Bibliotheca Weyheana im Institut erhalten und zeugt von den vielseitigen Interessen des langjährigen Direktors und ersten Dekans der philosophischen Fakultät nach dem zweiten Weltkrieg. 1949 wurde Professor Weyhe entpflichtet. Die neue Besetzung des Lehrstuhls zog sich sehr lange hin. Es sah zunächst wie eine Schließung des Seminars für englische Philologie aus, als 1951 und 1952 keine Immatrikulationen vorgenommen wurden. Doch im Studienjahr 1952/53 erhielt der Potsdamer Professor Fritz-Willi Schulze einen Lehrauftrag für neuere und neueste englische Literatur.
Die Vorlesungen und Seminare fanden zunächst Freitag nachmittag und Sonnabend statt und befaßten sich mit dem Amerikanischen Roman des 20. Jahrhunderts, mit Lyrik von Tennyson bis Eliot, dem Englischen Roman des 18. Jahrhunderts und mit den Präraphaeliten. Die zweite Professur erhielt 1954 der Sprachwissenschaftler Gerhard Dietrich (1900-1978), der sich 1944 in Halle habilitiert und danach mehrfach um eine Anstellung bemüht hatte.
Hallesche Anglistik nach dem II. Weltkrieg
Der Durchbruch für eine Wiederbelebung der Anglistik kam 1956 mit der Einführung des Zweifachstudiums für Lehrer, einem sprunghaften Anstieg der Studentenzahlen, der Bereitstellung von Bibliotheksmitteln und der Berufung von Gerhard Dietrich auf den freigewordenen Lehrstuhl am 1. September 1956. Die Seminarbibliothek, die 1945 beim Neubeginn 9.515 Bände aufzuweisen hatte, war 1956 auf 12.415 Bände angewachsen und erhielt aus dem Nachlaß von Weyhe weitere 3.850 Titel.
Gerhard Dietrich befaßte sich in Forschung und Lehre eigentlich nur mit sprachwissenschaftlichen Themen, so daß bis 1959 eine sinnvolle Arbeitsteilung mit dem bereits früher berufenen Literaturwissenschafler Fritz-Willi Schulze erfolgen konnte. Dietrichs Gebiete waren Phonetik, Grammatik, Sprachgeschichte sowie Sprachphilosophie und Sprachpsychologie. Er stammte aus dem Schuldienst, war ein Mann der Schulpraxis und hatte trotzdem schon früh an der Jenaer Universität unter Schulz-Gora seine akademischen Ziele angedeutet und eine romanistische Dissertation verfaßt (gedruckt Halle 1932). In den 20er Jahren hatte er in London unter Daniel Jones Phonetik studiert, das Certificate of Proficiency in Phonetics erworben und deutsche Phonetik am University College London gelehrt, bevor er sich mit einer Arbeit zur Syntax der ,do'-Umschreibung habilitierte.
Besonders einflußreich in Lehre und Forschung waren Gerhard Dietrich und sein Schüler und Nachfolger Hans Kirsten auf dem Gebiet der Syntax des Verbs, des Zeitengebrauchs und der nominalen Verbformen. In einem Nachruf in der ZAA 1979 würdigt Hans Kirsten Dietrichs Tätigkeit in Halle bis zu seiner Emeritierung 1965: ,,So hat das mehr als zehnjährige Wirken Gerhard Dietrichs an der Martin-Luther-Universität vor allem auf den Gebieten der Phonetik und Grammatik Schwerpunkte für die weitere Forschung gesetzt und der Ausbildung der Anglistikstudenten neue, praxisverbundene Wege gewiesen, die von seinen Mitarbeitern weiter beschritten werden." (Kirsten, Hans: Nachruf für Gerhard Dietrich. In: Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik, Jahrg. 27 (1979), S.164).
Am 1. Februar 1965 wurde die langjährige Assistentin und Lehrbeauftragte des Seminars die Literaturwissenschaftlerin und Weyhe-Schülerin Dorothea Siegmund-Schultze zum Professor mit Lehrauftrag für das Fachgebiet ,,Geschichte der englischen Literatur" ernannt und zum 1. Juni 1966 zunächst zum Kommissarischen Direktor des Seminars eingesetzt. Es war der Beginn einer neuen Phase in der Entwicklung der Anglistik in Halle, die 1968 in der Umbenennung in Institut für Anglistik/Amerikanistik ihren Ausdruck fand und 1969 mit der 3. Hochschulreform ihren Höhepunkt erreichte.
Die Dritte Hochschulreform und ihre Folgen
Für das Institut bedeutete die Hochschulreform in der Praxis den Abbruch aller Diplomstudiengänge und die alleinige Konzentration auf die Ausbildung von Englischlehrern für die Polytechnischen und Erweiterten Oberschulen. Die Forschungsarbeit wiederum sollte auf interdisziplinäre Forschungskomplexe gerichtet sein, die in kollektiver Arbeit nach zentralen Vorgaben auf den Gebieten der Soziolinguistik und strukturellen Lexikologie, der Konfrontationslinguistik und Theorie der sprachlichen Information, der Sprachausbildung und angewandten Sprachwissenschaft, der Methodik und der Literatur- und Länderwissenschaft bearbeitet wurden.
Die Forschungsinteressen und Lehrveranstaltungen von Prof. D. Siegmund-Schultze galten vornehmlich der englischen Literatur des Mittelalters, aber auch der Landeskunde Großbritanniens und Irlands. So wurden im Laufe der Jahre sechs Irlandkonferenzen mit nationaler und internationaler Beteiligung an der Martin-Luther-Universität durchgeführt, die sich mit Problemen der Gesellschaft, Sprache und Literatur des Landes beschäftigten. Einen wichtigen Schwerpunkt bildeten außerdem die sprachwissenschaftlichen Forschungen unter Hans Kirsten, denen an der Sektion Sprach- und Literaturwissenschaft im Rahmen der internationalen Konferenzen des Forschungskollektivs zur kommunikativ-funktionalen Sprachbetrachtung eine besondere Rolle zukam.
Das Studium in Halle umfaßte jetzt ein vierjähriges Zweifachstudium im Rahmen des Lehramts, das sich in Grund- und Fachstudium gliederte. Ab dem Matrikel 1983 betrug die Studienzeit sogar fünf Jahre. Seit 1975 wurde das Studium mit einem Diplomlehrerabschluß beendet, der in jeder Ausbildungsrichtung, die das Curriculum anbot, erworben werden konnte. Die sprachpraktische Ausbildung nahm einen relativ breiten Raum ein. Das lag auch in den schulischen Voraussetzungen der Studenten begründet. Sprach- und Literaturgeschichte standen dagegen im Hintergrund. Am Wissenschaftsbereich Anglistik wurden auf diese Weise in den 70er und 80er Jahren pro Matrikel 30 Studenten der Fachkombination Englisch/Russisch und zunächst alle zwei Jahre 30 Studenten der Fachrichtung Deutsch/Englisch immatrikuliert. Im Jahr 1981 studierten 130 Studenten in acht Seminargruppen der Fachrichtung Englisch/Russisch und 80 Studenten in vier Seminargruppen der Fachrichtung Englisch/Deutsch.
Die Betreuung der Diplomarbeiten im Rahmen der doch sehr nützlichen wahlweise-obligatorischen Ausbildung war nur eine der vielfältigen Aufgaben des Lehrkörpers, der fast ausschließlich aus wissenschaftlichen Mitarbeitern bestand. Es muß erwähnt werden, daß - im Unterschied zu heute und gerade was die Lehrveranstaltungen und Prüfungstätigkeit anbetrifft - der größte Teil der Aufgaben auch vom Mittelbau getragen wurde, um so mehr, als nach der Emeritierung von Prof. D. Siegmund-Schultze im Jahr 1986 der Anglistik die Professur entzogen wurde. Fast alle Lehrbücher und Lehrmaterialien wurden selbst erarbeitet. Dies geschah zum Teil in Koordination mit den anderen Universitäten der DDR, wie die Arbeit am Grundkurs Englisch (Modern English I-IV) und ,,Teaching Interactive English" I und II belegt, Lehrbuchserien, die in der Sprachpraxis der gesamten DDR verwendet wurden. In Halle entstand außerdem ein Lehrbuch zur Landeskunde Großbritanniens. Hans Kirsten war Mitautor der in Kooperation mit der Universität Leipzig entstandenen Grammatik der englischen Sprache. Später erschienen von ihm und seinen Mitarbeitern in der Sprachwissenschaft zwei weitere Bücher: ,,Nominalisierungen" (1986) und ,,Die englischen Verbformen" (1994).
Der Neubeginn für die Anglistik in Halle
Mit den Ereignissen des Jahres 1989/90 begann auch für die Anglistik in Halle eine neue Zeit. Zunächst war die Veränderung nur örtlicher Natur. Das Institut zog vom alten und viel zu kleinen Gebäude in der Brauhausstraße 17a und dem vielgeschätzten heimlichen Hörsaal Nr. 1 (Café Hopfgarten am Franckeplatz) um an die Peripherie der Stadt, in das nunmehr geräumte, trist und monoton wirkende Gebäude der ehemaligen Staatssicherheit. Unter den Titeln ,,Neues zum Thema Geist und Macht - längst fällige Kur für Halles Alma mater" und ,,Forschen, wo früher geschnüffelt wurde" wurde der genius loci von der Mitteldeutschen Zeitung im Jahr 1990 mit der ,,gedämpften Atmosphäre eines gutklassigen Hotels" beschrieben, samt schallschluckenden Decken und Riemchenwänden. Das ist schon wieder Geschichte.
Bald kam es auch zu einschneidenden Neustrukturierungen innerhalb des Instituts. Hinzu kamen zunächst Vertretungsprofessoren, dann vier Neuberufungen aus dem In- und Ausland: 1994 Prof. Hans-Jürgen Grabbe (British and American Studies), 1994 (seit 1992 als Vertretungsprofessor) Prof. Wolf Kindermann (Amerikanische Literatur), 1995 Prof. Eija Ventola (Englische Sprachwissenschaft) und 1996 Prof. Gisela Hermann-Brennecke (Anglistik und ihre Didaktik). Am Ende des Wintersemesters 1999/2000 verließ Prof. Ventola Halle, um einem Ruf nach Salzburg zu folgen.
Man kann sicherlich von einer Phase des dynamischen Ausbaus in den letzten Jahren sprechen, die jedoch nicht gleichmäßig auf allen Gebieten in eine Phase der Konsolidierung übergegangen ist. Erst im Jahre 2000 wurde Prof. Dr. Sabine Volk-Birke für das Fachgebiet Englische Literatur berufen. Damit fand endlich die lange Periode des Experimentierens, der Unsicherheit und der fast jährlich wechselnden Vertretungen für die englische Literaturwissenschaft ein Ende. Kontinuität auf hohem Niveau war auf dem Gebiet der American Studies gegeben, nicht zuletzt durch Fulbright Gastprofessoren aus den USA, die moderne amerikakundliche Kenntnisse vermittelten und dabei den Studierenden vielseitige inhaltliche und methodologische Impulse gaben. Auch die von der United States Information Agency geförderte Gründung des Zentrums für USA-Studien an der Stiftung Leucorea in Wittenberg im Jahre 1995 wirkte sich positiv auf die sich entwickelnde amerikanistische Atmosphäre am Institut aus. Der erste Direktor des Zentrums, Prof. Dr. H.-J. Grabbe, und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Halle und Wittenberg organisierten literatur- und kulturwissenschaftliche Workshops, Blockseminare und Zweitageskonferenzen mit nationaler und internationaler Beteiligung.
Ein weiterer Schritt in die gleiche Richtung ist die sich anbahnende transatlantische Zusammenarbeit mit der University of New Mexico in Albuquerque. Prof. J. Thorson und Prof. G. Hermann-Brennecke haben im akademischen Jahr "die Plätze getauscht" und bereiten den Boden für einen Wissenschaftler- und Studentenaustausch vor - eine willkommene Ergänzung zu den bereits bestehenden bilateralen Verträgen mit den englischen Universitäten in Newcastle upon Tyne und Birmingham.
Die 1994 begonnene, von Prof. W. Kindermann herausgegebene Reihe Hallenser Studien zur Anglistik und Amerikanistik trägt wesentlich zur Belebung der akademischen Tätigkeit am Institut bei und ist zu einem Forum für die Bekanntgabe von Forschungsergebnissen der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geworden.
In den letzten 10 Jahren sind beträchtliche finanzielle Mittel in die technische Ausstattung des Instituts geflossen. Die Bereitstellung von modernen Computern und Internet-Anschlüssen in allen Räumen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie in den Bibliotheksräumen für die Studierenden garantiert unmittelbaren Zugang zu Informationsquellen in allen Medien und überbrückt räumliche Entfernungen zu den britischen Inseln und dem nordamerikanischen Subkontinent. In der Bibliothek konnten seit 1990 dank eines großzügigen Förderprogramms des Bundes Mittelbereitstellungen durch die VW-Stiftung und erfolgreich geführter Berufungsverhandlungen für etwa DM 830.000 Bücher angeschafft werden. Der Buchbestand vergrößerte sich - auch durch Schenkungen des British Council und durch die Übernahme einer amerikanischen Truppenbibliothek vom Standort Göppingen - von 28.000 Büchern im Jahr 1990 auf 45.400 Bände im Jahr 2000. Es bleibt immer noch viel zu tun, um die in 40 Jahren entstandenen Lücken im Bestand zu schließen und den gegenwärtig in Halle immatrikulierten 500-600 Studierenden der Anglistik in Lehramtsstudiengängen oder mit dem Ziel eines Diplom- oder Magisterabschlusses angemessene Studienbedingungen garantieren zu können.
Am 13. März 2001 feierte das Institut die 125jährige Wiederkehr der Gründung des Ordinariats Englische Philologie in neuen Räumen in unmittelbarer Nähe des Universitätsplatzes. Im Sommersemester 2001 und im Wintersemester 2001/2002 finden anläßlich des Jubiläums eine Reihe wissenschaftlicher Vorträge und ein Festakt statt. Der britische Botschafter, Sir Paul Lever, hielt den Festvortrag "Universities in the 21st Century: What are they for?" und besichtigte das neue Institut. Der neuphilologische Komplex Dachritzstraße-Bölbergasse bietet für die modernen Fremdsprachen alle Möglichkeiten für eine erfolgreiche Lehre und Forschung, für interdisziplinäre Zusammenarbeit und für die Organisation interessanter akademischer Veranstaltungen mit weiter Ausstrahlungskraft. Die anglistische und amerikanistische Fachwissenschaft in Halle wird auch in den kommenden Jahren in der neuen Umgebung bestrebt sein, den Studierenden eine solide sprachliche, berufspraktische und fachtheoretische Ausbildung zu vermitteln, um sie optimal auf das Arbeitsleben vorzubereiten und in der globalisierten Arbeitswelt wettbewerbsfähig zu machen.
Die Autoren des Artikels
PD Dr. Dietmar Schneider, Institut für Anglistik und Amerikanistik
Dr. Dorothea Sommer, MSc, stv. Direktorin der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt